Sozialwahl 2017: Entscheidend für den Umgang mit Versicherten
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9. Mai 201751 Millionen Menschen können bei der Sozialwahl ihre Stimme abgeben. Allerdings weiß kaum einer, warum und für wen. Das liegt auch an einer verschleppten Reform der Bundesregierung.
Es ist nicht so, als hätte man sich keine Mühe gegeben im Superwahljahr 2017. Selbst eine Poetry Slammerin haben die Organisatoren engagiert, um im Netz für die Sozialwahl zu werben. „Das rote Rechteck in deinem Briefkasten ist der sichere Boden unter deinen Füßen“, sagt die sympathische junge Frau in dem Video auf dem Infoportal zur Wahl. Für die meisten Deutschen dürfte der Brief mit dem ominösen roten Rechteck trotz der Poesie-Offensive aber vor allem eines sein: ein Mysterium.
Denn zu was für einer Wahl da eigentlich aufgerufen wird, ist vielen schleierhaft. Bei der letzten Sozialwahl 2011 lag die Wahlbeteiligung deshalb nur bei schlappen 31 Prozent – und auch in diesem Jahr wird der Großteil der Wahlbriefe wohl im Altpapier landen. Dabei ist die Sozialwahl mit gut 51 Millionen Wahlberechtigten nach der Bundestags- und der Europawahl die drittgrößte Wahl in Deutschland. Dass das nur wenige kümmert, ist nicht das einzige Problem: Mit der Demokratie ist es bei der Sozialwahl in den meisten Fällen nicht weit her.
Worum geht es bei der Wahl?
Das Grundprinzip der Sozialwahl leuchtet ein: Wer Beiträge zahlt, soll bei wichtigen Entscheidungen der gesetzlichen Krankenkassen und der Rentenversicherung mitbestimmen dürfen. Die Versicherten wählen deshalb Vertreter, die sich in sogenannten Selbstverwaltungsgremien für ihre Interessen einsetzen. Bei der Rentenversicherung sitzen dort zum Beispiel 15 gewählte Delegierte – die andere Hälfte des Parlaments entsenden die Arbeitgeber.
„Formal sind das sehr wichtige Gremien“, sagt Frank Nullmeier vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen. Die Sozialparlamente setzen unter anderem die Höhe der Beiträge fest und entscheiden über die Gestaltung neuer Leistungen. In der Realität sei ihr Einfluss aber häufig abgeschwächt, sagt Nullmeier: „Viele Entscheidungen werden informell vorgeklärt und von den Gremien nur abgenickt.“ Gewählt wird alle sechs Jahre per Briefwahl, in diesem Jahr ist der Stichtag der 31. Mai. Die Kosten für die Wahl liegen bei knapp 50 Millionen Euro.
Wer darf wählen?
Wahlberechtigt sind alle Mitglieder der Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenkassen, die älter als 16 Jahre alt sind – zumindest in der Theorie. Denn bei den allermeisten Krankenkassen und Regionalträgern der Rentenversicherung treten nicht mehr Kandidaten an, als es Sitze in den Sozialparlamenten gibt. In diesem Fall machen die Gewerkschaften und Arbeitgeber bei einer sogenannten „Friedenswahl“ kurzerhand unter sich aus, wer die Posten übernimmt. Eine echte Wahl haben in diesem Jahr nur die Versicherten der Ersatzkassen Barmer, TK, DAK-Gesundheit, KKH und hkk sowie der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Saarland.
„Dort, wo Friedenswahlen existieren, hat die Wahl keinen demokratischen Charakter“, kritisiert Nullmeier. Das Problem: Die Zugangshürden für neue Bewerber sind hoch. Versicherte können zwar eigene Listen aufstellen, doch dafür brauchen sie einen großen Unterstützerkreis. Bei den großen Kassen mit mehr als einer Million Versicherten sind dazu mehr als 1000 Unterschriften nötig.
Wer steht zur Wahl?
Die Kandidaten werden nicht direkt gewählt, sondern sie treten gemeinsam in Listen an. Dahinter stehen in der Regel Gewerkschaften und ähnliche Arbeitnehmervereinigungen. Worin sich die Listen inhaltlich unterscheiden, ist für die Wähler oft schwer zu erkennen. Experten wie Frank Nullmeier fordern deshalb bereits seit Jahren, die Wahlen auch für Sozialverbände und Patientenorganisationen zu öffnen. „Man müsste die Wahl politisieren“, sagt Nullmeier.
Eine der Versicherten, die bei der Wahl antreten, ist Susanne Weyand: Die 49-jährige Controllerin aus Rheinland-Pfalz engagiert sich bereits seit zwölf Jahren ehrenamtlich im Verwaltungsrat der DAK für eine gewerkschaftsunabhängige Liste. „Wer sich nicht einmischt, kann auch nichts ändern“, lautet ihre pragmatische Einstellung. In ihrem Terminkalender muss sie jedes Jahr etwa 15 bis 20 Tage für die Sitzungen freischaufeln, nicht selten nimmt Weyand dafür Urlaub. Dazu kommen viele Abende, die sie am Telefon mit Versicherten oder über den Unterlagen für die nächste Sitzung verbringt. Das alles kostet viel Zeit. Kein Wunder also, dass in den Sozialparlamenten größtenteils Rentner sitzen – und noch dazu vor allem Männer.
Die Kritik an der Sozialwahl hält Weyand trotz ihres Engagements in einigen Punkten für berechtigt. „Es müsste überall Urwahlen geben“, findet sie. Doch die Ehrenamtliche sieht auch Fortschritte: „Die Informationsfülle im Internet ist in diesem Jahr wirklich groß.“ Besonders interessierte Wähler finden auf den Seiten der Bundeswahlbeauftragten tatsächlich viele Informationen. Die Wahlziele der Kandidaten sind allerdings je nach Liste und Kasse mal mehr, mal weniger konkret formuliert: Vage Forderungen wie „Gesundheitspolitik gestalten“ und „Qualitätsmedizin garantieren“ dürften wohl kaum einem Wähler die Wahlentscheidung erleichtern.
Wo bleibt die überfällige Reform?
Die Bundesregierung hatte sich in Sachen Selbstverwaltung in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich hehre Ziele gesetzt. Online-Wahlen wollte man einführen, die Urwahl stärken und mehr Frauen in die Parlamente holen – ihr Anteil liegt derzeit nur bei 18 Prozent. Doch passiert ist nichts: Union und SPD konnten sich nicht rechtzeitig auf einen Gesetzesentwurf einigen, die Frist lief 2015 ab.
Bei der Auftaktveranstaltung zur Sozialwahl in Berlin am 25. April in Berlin war die Stimmung dementsprechend verhalten. Die Bundeswahlleiterin Rita Pawelski pochte auf eine Reform, und auch Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) zeigte sich enttäuscht: Sie hätte sich eine Weiterentwicklung der Sozialwahl gewünscht, sagte sie.
Vielleicht sollte sich das nächste Bundeskabinett auch einmal den Poetry Slam zur Sozialwahl zu Gemüte führen. „Antworten kommt von Verantwortung“, heißt es da. Denn ohne eine echte Reform wird das rote Rechteck im Briefkasten wohl weiterhin ein Schattendasein fristen.