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20. April 2021Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung • vom 17.04.2021
Der Streit ums Rentenalter reißt nicht ab. 67 Jahre sind vielen nicht genug. Braucht es mehr? Ein Experten-Interview. Nullrunde im Westen, nur eine Mini-Anhebung im Osten: Auch die Rentner bekommen die Corona-Krise in diesem Jahr zu spüren. Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, ist sich aber sicher: Im kommenden Jahr werden die Renten wieder steigen. Zugleich mahnt sie zu Vorsicht beim Thema Rentenalter. Und sie verweist auf ein spezielles Reha-Angebot in Corona-Zeiten. Das Interview im Wortlaut:
Frau Roßbach, die Corona-Pandemie stresst und schlaucht viele Menschen, hinzu kommen zahlreiche Erkrankte. Macht sich das auch schon bei den Reha-Anträgen bemerkbar?
Immer mehr Menschen, die unter den Folgen von Covid-19-Erkrankungen leiden, fragen bei uns nach, welche Möglichkeiten es für eine Post-Covid-Reha gibt. Da geht es etwa um Menschen mit Atemwegserkrankungen, aber auch um kardiologische und neurologische Spätfolgen, etwa wenn Menschen Koordinierungs- oder Gedächtnisprobleme haben oder sie unter dem Fatigue-Syndrom leiden, also dauerhaft müde und abgeschlagen sind. Da braucht es spezielle Angebote, um den Menschen zu helfen und sie auch wieder fit zu machen für das Berufsleben. Die Reha-Kliniken greifen da auf bewährte Angebote zurück, entwickeln ihre Konzepte aber auch gezielt weiter. In jedem Fall sollten die Menschen wissen: Bei uns wird ihnen auch nach einer Corona-Erkrankung geholfen.
Die Corona-Krise beschert den westdeutschen Rentnern in diesem Jahr eine Nullrunde. Für 2022 sagen Sie wieder eine Anhebung voraus. Woher nehmen Sie trotz der dritten Corona-Welle diesen Optimismus?
Bei den Rentenanpassungen spielt die Entwicklung der Löhne eine entscheidende Rolle. Für das laufende Jahr wird nun weniger Kurzarbeit vorausgesagt. Auch hat die Wirtschaft angezogen. Die Prognosen gehen davon aus, dass sich die Löhne wieder positiv entwickeln und die Rentner dann im Jahr 2022 davon profitieren werden. Ja, die Renten werden im nächsten Jahr wieder steigen. Davon gehe ich aus.
Zur Politik: Die Legislaturperiode endet ohne neue Rentenreform? Was sagen Sie als ehemaliges Mitglied der Rentenkommission, die ja viele Vorschlage gemacht hat? Wie groß ist Ihre Enttäuschung?
Natürlich wünscht man sich, dass Vorschläge, an denen man mitgewirkt hat, zeitnah aufgegriffen werden. In der Politik stand und steht aber sinnvollerweise die Pandemie-Bekämpfung im Vordergrund. Und so muss es auch sein, dafür habe ich volles Verständnis.
CDU-Chef Armin Laschet fordert nun eine neue Rentenkommission, um parteiübergreifend eine große Rentenreform vorzubereiten. Was halten Sie von diesem Format?
Es war das Erfolgsrezept der vergangenen Jahrzehnte, dass man parteiübergreifend und gesamtgesellschaftlich die Weichen stellt. Das muss auch so bleiben. Und das Gute an unserem Umlagesystem ist ja, dass es flexibel ist und man es den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen immer wieder neu anpassen kann.
Wieviel Zeit bleibt dafür?
Ganz kurzfristigen Reformbedarf sehe ich nicht. Denn wir haben ja bis zum Jahr 2025 durch die doppelten Haltelinien beim Rentenniveau und beim Beitragssatz einen Rahmen gesetzt. Und selbst unter den Corona-Bedingungen passen diese Rahmenbedingungen. Aber natürlich wird man sich in den nächsten Koalitionsverhandlungen überlegen müssen, wie es weitergeht. Das ergibt sich schon aus dem großen Volumen der Ausgaben und der wachsenden Zahl der Rentner.
Einzelne Unionspolitiker warnen: „Die Rente ist in Gefahr.“ Sie fordern Reformdebatten ohne Denkverbote und drängen darauf, die Rentenerhöhungen stärker zu dämpfen. Einverstanden?
Es geht immer wieder um den Ausgleich zwischen den drei beteiligten Gruppen: zwischen der Generation, die jetzt die Beträge zahlt, der Generation, die jetzt die Renten in Anspruch nimmt, und den Steuerzahlern, die ja auch mitfinanzieren. Wenn man die Rentenanpassungen ein weiteres Mal dämpft, muss man natürlich auch ehrlich sagen: Das ist eine Änderung zu Lasten der Rentner. Sie haben dann ein größeres Paket zu tragen.
Die Union bringt auch eine längere Lebensarbeitszeit ins Spiel, „wenn wir alle älter werden“. Sozialverbände und der DGB kritisieren, das laufe auf Rentenkürzungen hinaus. Was also tun?
Faktisch sind wir aktuell bei 64,3 Jahren. Das ist das Durchschnittsalter, in dem die Menschen tatsächlich in Altersrente gehen. Und es läuft bis 2031 noch die Anpassung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre. Wir sollten jetzt genau beobachten, ob die Menschen tatsächlich länger arbeiten oder ob sie vorgezogene Renten mit Abschlägen hinnehmen. Das sollte man wissen, wenn man über diese Frage diskutiert. Auch sollten wir uns genau anschauen, ob die Lebenserwartung tatsächlich immer weiter steigt. Es gibt ja auch schon Länder, wo das nicht mehr der Fall ist.
Welche Haltelinien braucht die gesetzliche Rentenversicherung beim Rentenniveau, damit sie auch künftig als wichtigste Säule der Altersvorsorge das Vertrauen der Menschen genießt?
Ich würde das Thema nicht allein am Rentenniveau festmachen, denn es ist in erster Linie eine statistische Größe. Wir haben in diesem Jahr sogar ein Rentenniveau von 49,4 Prozent. Da sind wir deutlich über dem, was immer vorausgesagt wurde. Selbst im Jahr 2025 sind wir noch deutlich über der Haltelinie von 48 Prozent. Und auch die bis 2030 vorgegebenen Haltelinien werden nach den Prognosen eingehalten. Wir bewegen uns also im gesetzten Rahmen. Letztlich kommt es darauf an, dass die Menschen nach einem erfüllten Arbeitsleben über eine auskömmliche Rente verfügen. Das muss sichergestellt sein.
Müssen wir angesichts von Null- und Negativzinsen risikobreiter werden, um das Modell der Riester-Rente zu retten? Was halten Sie von Überlegungen, Anbietern mehr Spielraum bei der Anlage der Einzahlungen einzuräumen?
Das wäre eine deutliche Abkehr von allem, was man bei der Riester-Rente erreichen wollte. Wir Deutschen mögen Garantien. Deshalb hat man bei der Einführung der Riester-Rente gesagt: Das eingezahlte Geld muss auch wieder rauskommen. Jetzt ist die Frage: Ist der Staat bereit, mit Steuermitteln in eine Förderung zu gehen, wenn am Ende nicht klar ist, was für den Einzelnen herauskommt.
Ist die private Vorsorge alternativlos?
Wir haben uns in Deutschland für das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge entschieden. Man kann beispielsweise auch auf das österreichische Modell schauen, das sehr viel stärker auf die gesetzliche Rentenversicherung setzt.
Was halten Sie von großen staatlichen Rentenfonds, wie es sie in Skandinavien gibt?
Auch hier geht es letztlich um die Frage: Wer trägt das Risiko? Der Staat oder der Einzelne? Geht es um einen Staatsfonds zur allgemeinen Absicherung der Renten mithilfe von Aktien? Oder geht es um das individuelle Rentenkonto der Versicherten? Da gibt es noch sehr viele offene Fragen im Details, wenn man sich die Positionen der Parteien anschaut. Die Politik muss für Transparenz sorgen und klar sagen: So will ich die Risiken verteilen.
Noch einmal zurück zur Corona-Krise: Welche Auswirkungen hat sie auf die Rentenfinanzen?
Wir haben im vergangenen Jahr trotz Corona-Krise 1,9 Prozent mehr Beitragseinnahmen gehabt als 2019, insgesamt waren es rund 252 Milliarden Euro. Das ist eine wirklich positive Botschaft. Zur Stabilität der Finanzen hat wesentlich beigetragen, dass auch bei Kurzarbeitergeld Rentenbeiträge gezahlt werden. Auch in Krisen wird also weiter fürs Alter vorgesorgt, was noch einmal zeigt, wie gut unsere Sozialversicherungen ineinandergreifen und Risiken abfedern.
Und wie steht es mit den Reserven?
Die Nachhaltigkeitsrücklage ist im vergangenen Jahr etwas abgebaut worden. Ende 2019 waren es 40,5 Milliarden Euro, Ende 2020 standen uns noch 37,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Das entspricht rund 1,6 Monatsausgaben.
Große Veränderungen bei den Beitragssätzen sind angesichts der Finanzlage also nicht zu erwarten?
Nein, der Beitragssatz wird im laufenden und im kommenden Jahr stabil bei 18,6 Prozent bleiben. Erst im 2023 ist eine Anhebung zu erwarten, auf dann prognostiziert 19,3 Prozent.
Welche Rolle spielen dabei Zuschüsse aus der Steuerkasse?
Wir erhalten Steuerzuschüsse vom Bund, auch zum Ausgleich von nicht beitragsgedeckten Leistungen, die wir als Rentenversicherung übernehmen. Auch wenn die Zuschüsse steigen, bleibt das Verhältnis zwischen der Höhe der Rentenausgaben und der Steuerzuschüsse im Wesentlichen konstant. 2018 hat sich der Staat bei Einführung der Haltelinien bei Rentenniveau und Beitragssatz verpflichtet, Sonderzahlungen zu leisten. Bis 2025 belaufen sich diese Zahlungen auf rund zwei Milliarden Euro.
Immer wieder wird gefordert, auch Politiker, Beamte oder Selbstständige sollten künftig in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen. Kann man so die Rentenfinanzen nachhaltig stabilisieren?
Ich meine: Wenn man über eine Erwerbstätigenversicherung spricht, sollte man in erster Linie über diejenigen sprechen, die in vielen Fällen gar keinen oder nur einen geringen Schutz haben, die Selbständigen zum Beispiel. Da ist noch viel zu tun. Und mit Blick auf die Finanzen muss man sagen: Jeder Betragsleistung steht auch eine Rentenleistung gegenüber. Allein aus Finanzierungsaspekten hilft das Modell auf lange Sicht nicht weiter.
Sozialverbände warnen mit Blick auf Millionen von Minirenten vor einer „Lawine der Altersarmut“. Eine berechtigte Sorge?
Dass man das Thema Altersarmut ernst nehmen muss, steht außerfrage. Fest steht aber auch: Von den Menschen, die eine Altersrente beziehen und mindestens 35 Beitragsjahre haben, sind nur ein Prozent auf Grundsicherung angewiesen. Zum Vergleich: Über 8 Prozent der allgemeinen Bevölkerung bekommen Grundsicherung, bei den Beziehern einer Altersrente sind es rund 2,6 Prozent.
Wie steht es um die technisch schwierige Einführung der Grundrente? Alles im Plan?
Wir sind im Zeitplan. Das gilt für den Datenaustausch mit den Finanzbehörden und auch für die interne Organisation, sodass wir – wie bisher geplant – im Juli die ersten Bescheide verschicken werden. Es bleibt dabei, dass bis Ende 2022 alle Fälle aufgerufen sind. Der personelle Aufwand ist in jedem Fall groß. Wir haben allein bei der Deutschen Rentenversicherung Bund bisher rund 1000 neue Mitarbeiter eingestellt.